Orientalische Reise

Gottdorf – Moskau – ...

Die Erstausgabe der „Neuen orientalischen Reise“ von 1647 mit einer persischen Kalligraphie im Titel gilt als erste deutsche, wissenschaftliche Reisebeschreibung. Sie erzählt von einer Holsteinischen Gesandtschaft aus Gottorf zunächst nach Moskau, dann an den Persischen Hof. Ihr Verfasser, der gelehrte Hofmathematiker Adam Olearius, befasste sich während der Fahrt intensiv mit Sprache und Kultur der jeweiligen Gastländer und bereitete sie in diesem Buch zu einem neuen literarischen Format auf. Am Beginn empirischer Wissenschaften wurde es ein Bestseller. Das Hildesheimer Exemplar ist jedoch keine Massenware, sondern einzigartig.

...Isfahan – Hildesheim

Anlass der Reise (und damit auch des Buches) waren ambitionierte Pläne des Herzogs Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597-1659). Er richtete zwei Gesandtschaften aus, die für sein Territorium den Anschluss an den Überseehandel gewinnen und dafür Bündnisse schmieden sollten. Die erste Delegation wurde an den Hof des Zaren Michail Fedorowich nach Moskau geschickt, die zweite an den persischen Hof in Isfahan.


Adam Olearius...

Orientreisen waren Adam Olearius nicht in die Wiege gelegt. Er wurde in sehr einfachen Verhältnissen 1599 unter dem Namen Ölschlegel bzw. Ölschleger in Aschersleben geboren. Dank eines Stipendiums studierte er ab 1620 in Leipzig Theologie, Philosophie und Mathematik und schloss 1627 als Magister ab. Er lehrte zunächst an Leipziger Schulen, bald auch an der Universität. 1633 trat er in den Dienst des Herzogs von Schleswig-Holstein-Gottorf. Seine erste große Aufgabe war es, die beiden Handelsdelegationen an den russischen und an den persischen Hof zu begleiten und als Gesandtschaftssekretär zu dokumentieren.

...(1599-1671)

Begabt und umtriebig nutzte Olearius die Reiseaufenthalte, um gelehrte Kontakte zu knüpfen und seine Beobachtungen festzuhalten. Dabei erweiterte und verbesserte er das Wissen der Zeit und korrigierte beispielsweise die Ausdehnung des Kaspischen Meers. Er erlernte die persische Sprache und gab nach der Reise Übersetzungen heraus. Nach seiner Rückkehr 1639 wurde er vom Herzog zum Hofmathematiker und 1649 zum Hofbibliothekar ernannt. Berühmt wurde Olearius durch den sog. Gottorfer Riesenglobus. Dieser besitzt einen Durchmesser von drei Metern und ist begehbar. Dessen Original befindet sich heute in St Petersburg.


Otto...

Das Hildesheimer Exemplar von Olearius‘ Bestseller ist einzigartig, weil es eine Freundschaft dokumentiert, deren Spuren nirgendwo sonst erhalten geblieben sind: zwischen dem Autor Olearius und dem in seiner Zeit nicht minder berühmten Arzt, Chemiker und Pharmazeuten Otto Tachenius. So trägt der Schleswiger Mathematiker auf dem vorderen Innenblatt ein: „Als Zeichen seiner Zuneigung und zum Zeichen der Erinnerung gibt dieses Buch der Autor: Adam Olearius“.

...Tacke

Olearius‘ Eintrag deutet die Prominenz des gelehrten und berühmten Freundes an. So widmet er es seinem Freund, „Dem überaus angesehenen, hochberühmten und erfahrensten Herrn Otto Takenius, Doktor und Praktiker der Medizin, der in Italien äußerst bekannt ist“.


Otto Tachenius....

Tachenius stammte ebenfalls aus bescheidenen Verhältnissen. Bereits als Jugendlicher arbeitete er in der heimatlichen Apotheke, um später eine reguläre Ausbildung aufzunehmen. Allerdings überwarf er sich mit seinem Meister und nahm, wie es eigentlich unter Gelehrten Usus war, eine insgesamt 12 Jahre dauernde Reise durch halb Europa auf. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten und um sich fortzubilden, arbeitete Tachenius bei verschiedenen Ärzten und Apothekern. In Padua nahm er darüber hinaus ein Medizinstudium auf. Nach der Promotion ließ er sich in Venedig nieder, um dort als Arzt und Chemiker zu arbeiten.

... (1610-1680)

Tachenius‘ Praxis entwickelte sich glänzend, so dass er schon bald zu Wohlstand und Ansehen und über die Lagunenstadt hinaus Berühmtheit gelangte. Dieser Erfolg war in den speziellen Präparaten und Mixturen begründet, die er verordnete. Bei der Entwicklung von Heilmitteln war er kreativ und unkonventionell; das Spektrum reichte von einfachen, aus heutiger Sicht homöopathischen, Mitteln bis zu extravaganten Mixturen. Der Verkaufsschlager war ein Salz aus Vipern, das Tachenius als Allheilmittel propagierte und besonders unter den Reichen und Mächtigen mit Erfolg vermarktete. Zu seiner Klientel zählten auch deutsche Hochadlige, die in Venedig zu Besuch waren.


Der Alchemist und...

Weil Tachenius über umfassende theoretische und praktische Kenntnisse der Chemie verfügte, galt er nicht zu Unrecht als Alchemist. Ein damals heftiger Disput über Alcahest zeigt den Kontakt zwischen dem Chemiker und dem Gottorfer Hof und damit vielleicht auch zu Olearius. Tachenius schrieb 1651, offensichtlich im Auftrag der Holsteiner, ein Gutachten über dieses Destillat aus Grünspan, das in der Alchemie als eine der Schlüsselsubstanzen galt. 1667 hielt er sich in Gottdorf auf, so dass die Freundschaft zwischen beiden Wissenschaftlern spätestens bei dieser Gelegenheit ihren Anfang genommen haben könnte.

...seine Netzwerke

Tachenius hatte auch Verbindungen zu den Welfen, so zu Herzog Johann Friedrich von Braunschweig-Calenberg, den Erbauer von Schloss Herrenhausen. Über diesen Kontakt gelangte das Widmungsexemplar der „Neuen Orientalischen Reise“ wohl in die Dombibliothek. Denn ein anderer „Korrespondent“ des Herzogs, Johann Druivestein, war sein Testamentsvollstrecker. Er sorgte wahrscheinlich dafür, dass jene Bücher, die der als Erbe bestimmte Neffe von Tachenius nicht für sein Medizinstudium brauchte, zunächst in die Hofbibliothek gelangten. Deren Leiter Gottfried Wilhelm Leibniz besaß nun Verbindungen zum Hildesheimer Domhof, die sich in dessen Korrespondenz sowie in Buchgeschenken offenbaren.


Impressionen aus ...

Gefahren lauerten für die Reisenden überall. So eskalierte ein scheinbar harmloses geselliges Beisammensein: „Weil es starke Trüncke gab/ hatte unser Trompeter Casper Hertzberg so viel zu sich genommen/ das er in vollem Sinne/ einen von unsern Strelitzen mit dem Degen tödtlich verwundete; Den Beschädigten liessen wir liegen/ gaben ihm/ und denen die ihn warten sollten/ etwas Geld/ und zogen davon. Dieser Trompeter ist nach vollendeter Persischen Reise in der Mußcow/ nach dem Er sich in des Großfürsten Dienst begeben/ wiedrumb von einem schlechten Kerel liederlich erstochen worden.“ Die Abbildung zeigt die Strelizen.

...Olearius‘ Reisebericht

„Anno 1634. den 24. Januarii, ist anderthalb Meilen von der Narva/ ein kleiner ohne zweiffel wütender Wolff 12. Russische Bauren/ so mit Hew beladenen Schlitten hinter einander hergefahren/ begegnet/ Dieser hat sich alsbald an denersten gemachewt/ ist an ihm hinauff sprungen/ hat ihn bey der Kehlen gefasset/ und niedergerissen/ ungleich auch dem andern. Dem dritten hat er das Fell über den Kopff gezogen/ dem viertdten Nase und Bascken abgerissen/ dem fünfften und sechsten auch sehr beschädiget/ Als dioe hintersten dieses sahen/ tretten sie zusammen/ überweltigen ihn und schlagen ihn todt.“ Alle Angegriffenen starben wie der abgebildete Verletzte an der Tollwut.


Die Gottdorfer Delegation...

Im Frühjahr 1634 erreichte die Delegation mit 120 Personen, zu Pferde und mit etwa 50 Wagen in strenger zeremonieller Ordnung und begleitet von an die 4000 Soldaten, die Hauptstadt Moskau. An die 40.000 Feuerstellen habe die Stadt, berichtet Olearius, was ein Vielfaches an Einwohnern bedeutete. Mehr als 1.500 Klöster, Kirchen und Kapellen zähle die Stadt. Die Häuser, überwiegend aus Tannenholzbalken wie Blockhäuser gebaut, waren leicht zu zerlegen und neu aufzubauen und wurden wie moderne Fertighäuser als Ware gehandelt. Die Straßen waren breit und mit Bohlen bedeckt, um bei Tauwetter oder Regen nicht im Morast zu versinken.

...am Zarenhof

Die Audienz beim Zaren verlief nach einem strengen Zeremoniell. Dabei wurden auch Handschreiben und Geschenke übergeben. Entlang der Wand des Audienzsaals saßen mehr als 50 der vornehmsten Räte des Reiches, „alle in sehr köstlichen Kleidern und hohen schwarzen Fuchs-Mützen/ welche sie nach ihrer Manier stets auf den Köpffen behielten.“ Höhepunkt war die von Reichskanzler verkündete gnädige Erlaubnis des Zaren, ihm, der zwischen silbernen und vergoldeten Säulen auf einem erhabenen Thron saß, die Hand zu küssen: Er „reichte mit freundlichen Geberden jeglichem die Rechte entgegen/ und ließ sie küssen/ jedoch mit Händen unangerührt“.


Mit der zweiten Delegation...

Die zweite Gesandtschaftsreise erreichte im August 1637 die persische Hauptstadt Isfahan. Die Stadt hatte zur Zeit von Olearius mehr als 500.000 Einwohner. Die Häuser, von außen eher unscheinbar, waren aus gebackenen oder gebrannten Ziegeln und bis zu vier Stockwerke hoch gebaut, die Gassen eng und winklig. Die Fenster reichten bis zum Boden und waren nur mit Holzgittern verschlossen, im Winter wurden sie mit ölgetränktem Papier bedeckt. „Es hilfft zur weitleufftigkeit der Stadt viel/ daß bei jedem Haus ein/ und bißweilen zwey geraume Garten seynd. Auff dieselben halten die Perser sehr viel“.

...am persischen Hof

Die Audienz beim noch jungen Schah war als Festmahl in einem offenen, überreich geschmückten Gartenhaus gestaltet. Am Rande des Festbereichs standen ca. 50 Araber-Pferde des Schahs, alle mit edelsteinbesetzten Decken, Sätteln und Zaumzeugen prächtig ausgestattet, um die Macht des Herrschers auszudrücken. „Unsere Gesandten indem sie vor dem König kamen/ neigten sich mit gebührender Reverentz: Der König hingegen gab ihnen mit fröhlichen Gebärden einen freundlichen Winck.“ Beim Mahl wurde wenig gesprochen, aber ein Unterhaltungsprogramm mit Gauklern, Tänzerinnen und Ringern vorgeführt.


Was von den Reisen...

Letztlich erfüllten beide Delegationen nicht die mit ihnen verbundenen Erwartungen, weil keine Abkommen zustande kamen. Als Schuldiger wurde am Gottdorfer Hof der als unfähig und selbstherrlich geltende Gesandtschaftsführer, der Kaufmann Otto Brüggemann, ausgemacht, verurteilt und 1640 hingerichtet.

... übrig blieb

Wenn die Reisen wirtschaftlich scheiterten, war ihr kultureller und wissenschaftlicher Ertrag dennoch groß. Denn Olearius‘ Bericht enthielt nicht nur Neues über Land und Leute aus bislang kaum bekannten Regionen, sondern im Erstdruck auch deutschsprachige Gedichte von Paul Fleming (1609-1640). Obwohl er bereits im Alter von 30 Jahren verstarb, gilt er heute als einer der bedeutendsten deutschen Barockdichter. Unter den prominenten Teilnehmern war auch Johann Albrecht von Mandelslo (1616-1644), der die Gesandtschaft verließ, um nach Indien zu ziehen. Von dieser Reise hinterließ er ebenfalls eine berühmte Beschreibung, die 1658 publiziert wurde.


Und noch ein Geheimnis

Das Buch verbirgt auf dem vorderen Innendeckel des Bandes ein geheimnis. Dort befindet sich eine wohl zeitgenössische Bleistiftzeichnung mit einer Darstellung des Göttinger Physikers, Philosophen und Aphoristikers Georg Christoph Lichtenberg (1742-1799), wie es die beigefügte Vergleichszeichnung unschwer erkennen lässt. Als jüngstes von 17 Kindern eines evangelischen Pfarrers litt Lichtenberg zeitlebens unter seiner Kleinwüchsigkeit und einer starken Wirbelsäulenverkrümmung, die zu einem ausgeprägten Buckel führte und ihm das Atmen schwer machte.

Georg Christoph Lichtenberg

Georg Christoph Lichtenberg hatte von 1763 bis 1766 in Göttingen mit einem Stipendium des Landgrafen Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt studiert. Auf einer Englandreise lernte er den König von Großbritannien und Hannover Georg III. kennen, der ihn an die Universität Göttingen empfahl. Als Professor für Physik, Mathematik und Astronomie hielt er daher dort seit 1676 Vorlesungen. Berühmt wurde Lichtenberg allerdings vor allem durch seine posthum erschienen sog. Sudelbücher, in denen er seine kritischen, oft sarkastischen Aphorismen und zugespitzt formulierten Gedanken notierte.


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