Olaf und Erich

Die Viten des Hl. Erich...

Dieses Buch enthält die hagiographische und legendarische Überlieferung zu zwei prominenten Gestalten der skandinavischen Geschichte des Mittelalters, dem Hl. Erich von Schweden und dem Hl. Olaf von Norwegen, in Ausgaben des 17. Jahrhunderts. Zeit ihres Lebens, also im 11. und 12. Jh., bildeten sich die mittelalterlichen Kerne Schwedens, Norwegens und Dänemarks und damit grob die politische Karte Skandinaviens heraus. Aus der Perspektive der frühneuzeitlichen Hegemonialmacht Schwedens wurde ihr Wirken mit der Reichsbildung der skandinavischen Länder verbunden und in Erinnerung gehalten.

...und des Hl. Olaf

Dieses Exemplar stammt ursprünglich aus der Privatbibliothek des schwedischen Diplomaten und Philologen Johan Gabriel Sparwenfeld (1655-1727), der für seinen König vor allem in Osteuropa unterwegs war. Als Geschenk an den Hildesheimer Domherrn Reuschenberg gelangte es in den Bestand der Dombibliothek. Es wurde dann offenbar von Reuschenberg selbst eingebunden zwischen zeitgemäße Pappdeckel, die mit hellem, blindgeprägtem Schweinsleder überzogen sind; dafür spricht der Buchschnitt, der Sparwenfelds ursprünglichen Besitzeintrag beschädigt hat.


Ein Geschenk...

Die persönliche Widmung des Buches durch J. G. Sparwenfeld an Reuschenberg lautet: „Amico amicus / d d [?]“, datiert auf den 3. September 1697 in Stockholm. Reuschenberg nimmt wie immer bei seinen Büchern einen Besitzeintrag vor, der die Provenienz enthält; in diesem Fall bestätigt er die o. g. Schenkung, Ort, Zeit und die Freundschaft: „ex donatione supradicti amici possidet JSReuschenberg“.

...unter Freunden

Sparwenfeld hatte das Buch offenbar 1689 erworben oder erhalten, wie ein weiterer Besitzeintrag auf der Titelseite oben nahelegt: „JGSparwenfeld 89“


Johan Gabriel Sparwenfeld

Sparwenfeld war Wissenschaftler bzw. Philologe. Er stammte aus finanziell gesicherten und gesellschaftlich gehobenen Verhältnissen, so dass er sich das frühe Studium an der Universität Uppsala sowie Reisen durch Europa leisten konnte. 1684 wurde er als königlicher Diplomat an die schwedische Botschaft in Moskau gesandt. Dies bewegte ihn, sich landeskundlich und philologisch mit Russland zu beschäftigen. In einem Tagebuch verarbeitete er seine wachsenden Kenntnisse über Land und Leute; in den folgenden zwei Jahrzehnten entstand ein Lexikon der russischen Sprache. In Schweden vermittelte er die gewonnenen Kenntnisse über das Land.

Ein Diplomat „macht“ Geschichte

Zwei Jahre nach seiner Rückkehr erhielt er einen neuen königlichen Auftrag. Er sollte Quellen sammeln, um eine schwedische Herkunft der Goten zu belegen. Gotische Ethnien traten seit dem 3. Jh. auf und bildeten in der sog. Völkerwanderung in Europa Reiche, bes. in Italien und Spanien. Für seinen Auftrag reiste Sparwenfeld von 1689-1694 in Europa umher. In den folgenden Jahren nach seiner Rückkehr nach Schweden wertete er das Material aus und arbeitete weiter an seinem Lexicon slawonicum.


Schweden als europäische....

Die Expansion Schwedens zur Hegemonialmacht im Ostseeraum setzte mit der Regierung Gustavs II. Adolf (1611-1632) ein, der im 30jährigen Krieg auf Seiten der Protestanten eingriff und diese zeitweise gegen den Katholizismus bzw. Habsburg anführte. Der Westfälische Frieden bestätigte die Kriegsgewinne Schwedens, das große Teile von Pommern, Rügen, Wismar, die Herzogtümer Bremen und Verden erhielt. Finanziell trieben die langjährige Kriegführung sowie die stetig steigenden Ausgaben des Hofes das schwedische Reich in große Finanznöte, die Karl XI. (1660-1697), zeitweilig ausgleichen konnte.

...Großmacht des 17. Jh

Die Gründung der Universität Uppsala wie auch das wachsende wissenschaftliche Interesse an der Erforschung der eigenen Geschichte und deren Überlieferung – die Erich und Olaf prominent vertreten – waren ebenfalls Ausdruck dieses Großmachtstrebens. Darüber hinaus wurde aber auch die Bildung der Bevölkerung insgesamt weiter gefördert, insbesondere unter Gustav II. Adolfs Tochter Christine (1632-1654).


Erik: König und...

Erik IX., der wohl von 1156 bis ca. 1160 König von Schweden war, gilt als Schutz- bzw. Nationalheiliger des Landes. Die Überlieferung ist sehr spärlich bzw. umstritten, so dass sich kaum sichere Angaben über sein Leben und Königtum mache lassen. Zugeschrieben wird ihm gemeinsam mit Bischof Henrik von Uppsala für die Zeit um 1150 ein Kreuzzug nach Finnland, der der Expansion nach Osten und der Ausbreitung des Christentums diente. Mitte des 12. Jh. gab es noch ausgeprägten Widerstand gegen das Christentum in Skandinavien, gerade auch in Eriks Reich. Sicher scheint die Fertigstellung des Doms in Uppsala während seiner Regierung.

...Heiliger Schwedens

Wahrscheinlich wurde Erik als Heiliger im 13. Jh. kreiert und dessen Kult in dieser Zeit systematisch aufgebaut. Es entstanden zahlreiche Legenden, die die Überlieferung dominieren. Den historischen Hintergrund dürfte die Konkurrenz zwischen dem schwedischen Erzbistum Uppsala und dem dänischen Erzbistum Lund bilden. Demnach versuchten die Schweden, sich von der Dominanz der Dänen zu befreien, zumal die Überordnung Lunds von Papst Alexander III. verfügt worden war. Ein prominenter Heiliger mit entsprechenden Reliquien und Pilgern hätte wertvolle Gegenargumente geliefert. Federführend waren hier Dominikaner und Franziskaner.


Johannes Gerhard Scheffer...

Diese Ausgabe der Erik-Vita besorgte Johannes Gerhard Scheffer, einer der bedeutendsten Philologen und Archäologen des 17. Jh. Geboren in Straßburg, verließ er 1648 die Stadt wegen der unsicheren Situation und wurde, dank seines wissenschaftlichen Rufs, am Hof der Königin Christina aufgenommen. Diese ernannte ihn zum Skyttischen Professor der Beredsamkeit und der Politik in Uppsala; später war er königlicher Honorarprofessor für Natur- und Völkerrecht, seit 1667 Mitglied im sog. Antiquitätskollegium, das die nordische Literatur und Geschichte erforschen sollte und insofern den institutionellen Rahmen der Erik-Edition bildete.

...(1621-1679)

Scheffers wissenschaftliche Schwerpunkte in Uppsala waren schwedische Landeskunde sowie Staatsrecht. Seine Arbeit über Lappland und die Samen, eines der wichtigsten Werke dieser Zeit, erschien erstmals 1673 in Frankfurt a. M. auf Latein und wurde in den folgenden Jahren rasch in die wichtigsten gesprochenen Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) übersetzt. Auch seine philologischen Werke wurden viel rezipiert, z. B. Ausgaben lateinischer und griechischer Klassiker, Arbeiten zur Rhetorik und Stilkunde (De stylo, 1653). Des Weiteren publizierte er Arbeiten über die Geschichte der Seefahrt und antike Malerei.


Die zweite Edition...

„St Olaffs Saga på Svenska rijm“ (1675), übersetzt von Johan Hadorph (1630-1693), ein Pionier der schwedischen Altertumskunde. So unternahm er im Auftrag des Königs regelmäßig landeskundliche Exkursionen, um Runen und andere Artefakte zu dokumentieren. Er war seit 1679 Direktor des Antiquitätskollegiums, dem auch Scheffer angehörte. Hadorph konzentrierte sich auf die Suche nach einschlägigen Schriftquellen, insbesondere rechtshistorischen Texten. Seine Arbeit sowie seine Sammlungen bilden den Grundstock des heutigen Historischen Nationalmuseums in Stockholm.

...in diesem Band

Hadorph publizierte relativ wenig im Vergleich zu seinen Kollegen, und zu diesem kleinen Oevre gehört die gereimte Olaf-Saga (1664-1676). Der besondere Quellenwert der Edition insgesamt ist bedingt durch den Verlust vieler anderer Quellen, die durch einen Brand des Stockholmer Palastes 1697 zerstört wurden.


Der „historische“...

Olaf II. Haraldsson, König Norwegens 995-1030, wurde rasch nach seinem Tod als Heiliger aufgebaut und in ganz Skandinavien populär, wovon hunderte ihm geweihte Kirchen zeugen. Er gilt als Nationalheiliger Norwegens mit einer reichen Überlieferung an Sagas und Viten. Die Sagas rücken (im Unterschied zu den Viten) eher den König als den Märtyrer in den Vordergrund, doch ihre historisch-faktische Substanz ist kaum zu beurteilen. Wahrscheinlich war Norwegen während seiner Zeit weitgehend christianisiert, so dass sein als Martyrium propagierter Schlachtentod kein Glaubensopfer war, zumal seine Widersacher ebenso Getaufte waren.

...Olaf von Norwegen

Dargestellt ist Olaf auf dem Titelkupfer als König, erkennbar an Krone und Reichsapfel; weiterhin hält er in der Linken einen Speer, der auch eine Axt sein könnte. Ikonographisch ist Olaf in der Regel an einer Axt sowie an einem mit Menschenkopf ausgestatteten Tier erkennbar, das sich unter seinen Füßen befindet. Die Ursprünge dieses Motivs sind unklar; vielleicht verweisen sie auf seinen Halbbruder, der gegen ihn kämpfte, vielleicht stellt die Chimäre Olafs vermeintliches Alter Ego dar.


Johann Sigismund von...

Der Vorbesitzer des Buchs, Freiherr von Reuschenberg zu Settrich und Kendenich, entstammte einer wohlhabenden rheinischen Familie aus dem Herzogtum Jülich-Cleve-Berg. Mit dem Bistum Hildesheim war die Familie bis 1751 durch das ihr verpfändete Amt Vienenburg verbunden. Er besuchte das Gymnasium Tricoronatum in Köln, eine jesuitische Eliteschule. Als Elfjähriger wird er nominell unter den Schülern des Hildesheimer Jesuitengymnasiums aufgeführt. Dem Hildesheimer Domkapitel gehörte er seit 1701 an, nachdem er das erforderliche Mindestalter von 25 Jahren erreicht hatte.

...Reuschenberg (1675-1703)

Nach dem Tricoronatum war Reuschenberg seit 1691 als Student zunächst an der Kölner Universität immatrikuliert, zwischen 1692 und 1694 besuchte er die Universität Salzburg. Im Anschluss brach er zur innerhalb des Adels üblichen Grand Tour auf, eine Bildungsreise, die ihn durch halb Europa führte; in Paris blieb er ab 1699 für drei Jahre.


Reisen...

Die in der Frühen Neuzeit als Grand bzw. Kavalierstour bekannte Praxis führte die jungen, meist adligen Erwachsenen in der Regel durch Zentral- und Südeuropa, vereinzelt auch ins Heilige Land. Fern der Heimat sollten sie Bildung, Kultur und Kunst unmittelbar erleben und den individuellen Horizont durch die Lebensweise anderer Länder erweitern. Die Reisen hatten den lebenspraktischen, an den Bedürfnissen des eigenen Standes orientierten Ansatz, um den eigenen Lebensstil zu vervollkommnen. Man besichtigte Baudenkmäler, besuchte berühmte Opern, sprach an den bedeutenden Fürstenhöfen vor und nahm an regionaltypischen Festen teil.

...bildet

Für Reuschenberg und seine Standesgenossen galt es darüber hinaus, Kontakte herzustellen und auf diese Weise ein über die eigene regionale bzw. soziale Herkunft herausreichendes Netzwerk zu knüpfen. Solche Verbindungen hielten oft über Jahre, vielleicht sogar ein ganzes Leben. Reuschenberg führte seine Grand Tour nach Italien, Belgien, Holland, England, Frankreich und Schweden, wo er offenbar die Bekanntschaft Sparwenfelds machte.


Auf Grand Tour durch die...

Die Grand Tour war Teil des zeitgenössischen Wissenschaftssystem. Dort tauschte man sich persönlich sowie über Briefe, Zeitschriften und andere schriftliche Formate aus. Alle hatten daran gleichermaßen und gleichberechtigt Anteil und bildeten insofern eine res publica litteraria, eine „Gelehrtenrepublik“, die Standes- sowie nationale Grenzen überschritt. Der Begriff selbst stammt aus dem Brief eines humanistischen Gelehrten aus Venedig zu Beginn des 15. Jh., mit dem er einem Kollegen zur Entdeckung und Publikation antiker Schriften gratulierte.

...“Gelehrtenrepublik”

Innerhalb dieses Netzwerkes war der Austausch von wissenschaftlichen Gaben wichtig: Man schloss und bekräftigte kollegiale Kontakte und persönliche Freundschaften durch Buchgeschenke. Die Hildesheimer Ausgabe der Olaf- und Erich-Viten dokumentiert eine solche Freundschaft zwischen dem jungen rheinischen Adligen und dem gelehrten Diplomaten am schwedischen Hof. Für Reuschenberg waren Bücher darüber hinaus Objekte der Leidenschaft. Auf seinen Reisen, die einen großen Teil seines kurzen Lebens ausfüllten, trug er mehr als 2000 Bände zusammen. Seine wertvolle Bibliothek vererbte er dem Hildesheimer Domkapitel, das die Bücher an die Vorläuferin der heutigen Dombibliothek, weitergab.


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