Tridentinum

4 Nm 106

Vornehmlich aufgrund seines Einbandes ist das kleine Buch etwas Außergewöhnliches. Denn es wurde in einen Pappdeckel eingebunden, über den das Fragment einer Noten-Handschrift gezogen wurde. Wahrscheinlich war es im Besitz der Hildesheimer Kapuziner, deren Bibliothek mit dem Klostergebäude im 19. Jh. vom Bischöflichen Priesterseminar übernommen wurde. In den 1970er Jahren gelangten wiederum dessen historische Buchbestände in die Dombibliothek.

4 Nm 106

Bereits der unbekannte Bibliothekar ordnete es unter die Libri rari oder Lib. rar., also Raritäten, ein, und vermerkte dies entsprechend am Rand des Titelblatts. Die Inhalte des Bandes sind alles andere als selten, sondern waren vielmehr essenziell für die Bibliothek eines katholischen Reformordens, als die die Kapuziner begründet worden waren: die Beschlüsse des Konzils von Trient 1545-1563 sowie der dort unter anderem eingeführte Index verbotener Bücher, in einer Ausgabe von 1597 bei Gosvin Cholinus in Köln gedruckt.


Das Tridentinum...

Das nach seinem Haupttagungsort Trient bezeichnete Konzil sollte grundlegende Reformen für die Römisch-katholische Kirche einleiten, um den Herausforderungen der Reformation zu begegnen und darüber hinaus die bisher eingetretenen politischen und konfessionellen Verluste durch den Protestantismus wettzumachen. Obwohl theologische Grundsatzfragen intensiv diskutiert wurden und eine deutliche Abgrenzung zu protestantischen Lehren erfolgte, stand ein innerkirchliches Problem, die Situation des Klerus, im Zentrum der Beratungen. Vor allem Quantität und Qualität der Seelsorge sollten deutlich verbessert werden.

...1545-1563

Allerdings reichten die Beschlüsse unterschiedlich weit. So wurde die Verpflichtung der Bischöfe, die sich in dieser Zeit zunehmend als Landesherren verstanden, auf die Seelsorge als ihr eigentliches Kerngeschäft festgelegt. Doch die dafür notwendige Voraussetzung einer Residenzpflicht wurde nicht verbindlich gemacht. Jede Diözese musste ein Priesterseminar einrichten, um die Ausbildung des Klerus auf einem bestimmten Niveau zu gewährleisten. Darüber hinaus drängte man auf eine stärkere Ausprägung von Loyalität und Konformität des Klerus. Jeder Priester musste einen Eid leisten und sich zu den Positionen des Tridentinums und damit des geltenden Katholizismus bekennen.


Index librorum...

Im Kontext des Konzils wurde ein Index librorum prohibitorum, also ein „Verzeichnis verbotener Bücher“, zusammengestellt, um die Rezeption jener Werke bzw. Autoren zu unterbinden, die den „falschen“ Positionen anhingen und auf diese Weise den Katholizismus untergruben. Die erste gedruckte Ausgabe dieses Index erschien 1559. Er blieb für rund vierhundert Jahre Bestandteil der kirchlichen Orthodoxie und wurde erst nach dem 2. Vatikanischen Konzil 1966 aufgegeben.

...prohibitorum

Das „Verzeichnis verbotener Bücher“ war ein neuartiges Instrument von Zensur innerhalb der Katholischen Kirche, das von einem eigens zur Kontrolle von Druckwerken 1542 eingerichteten Gremium, der Römischen Inquisition, geführt wurde. Bis dahin wurden Positionen, Werke oder Personen, die der Lehrmeinung Roms entgegenstanden, lediglich punktuell verfolgt, sei es durch päpstliche Erlasse oder die Universitäten, sofern ein entsprechender Fall denn in ihren Zuständigkeitsbereich fiel.


Die Kölner Druckerei des...

Die Familie Cholinus führte im 16. und 17. Jh. über mehrere Generationen eine Druckerei in Köln, die überregional wie international agierte. Zeitweise gehörten Familienmitglieder dem Stadtrat an. Goswins Vater war für seinen Katholizismus bekannt und pflegt Kontakte zu den Jesuiten, die bis zu Petrus Canisius, den Generaloberen des Ordens in Deutschland, reichten. Politisch bzw. konfessionell entsprechend war das Verlagsprogramm ausgerichtet, so dass diese Tridentinumsausgabe gut hineinpasste. Das Titelblatt enthält eine Darstellung der Apostel Petrus (Schlüssel) und Paulus (Buch und Schwert). Gosvin starb 1606.

...Gosvin Cholinus

Auf der Titelseite des Index ist die Druckermarke Gosvins abgebildet. Das Motiv geht in dieser Version zurück auf den Emblematum liber (1531) von Andrea Alciato, Humanist und Jurist (1492-1550), der in dieser Epoche zu den Begründern der Embleme als Kunstform gehörte. In Emblemen werden Texte und Bilder auf mehrfache, metaphorische Weise verbunden, um Sinn- oder Lehrsätze zu verdeutlichen. Gosvins Marke zeigt Triton, eine Gottheit der griechischen Mythologie, die die Gestalt eines Mischwesens besaß, hier halb Seemonster, halb Trompeter.
Die Umschrift lautet: Ex literarum studiis immortalitas acquiritur („Wissenschaft macht unsterblich“)


 

Als Umschlag für den Band diente dem Buchbinder eine mittelalterliche Handschrift mit dem Messgesang zu Petri Kettenfeier. In der heutigen Kirche ist dieser Feiertag vergessen und wird auch offiziell nicht mehr begangen, in Mittelalter und Früher Neuzeit galt er jedoch als einer der wichtigen Tage im Kirchenjahr. Gut erkennbar sind die ersten Zeilen des Cantus aus Apg 12,5: Petrus autem servabatur in carcere et oratio fiebat pro eo sine intermissione ab ecclesia ad deum (Petrus aber wurde im Gefängnis bewacht, und die Kirche stimmte ohne Unterlass ein Gebet für ihn bei Gott an).

 

Hintergrund ist gemäß der Apostelgeschichte die Absetzung von Pontius Pilatus als Statthalter Judäas, die der jüdische König Herodes Agrippa I. nutzte, um die Jerusalemer Urgemeinde zu verfolgen. So wurden der Apostel Jakobus der Ältere enthauptet und Petrus verhaftet. Dieser wurde zwischen zwei Bewachern in einer Gefängniszelle in Jerusalem angekettet. Es kamen aber Engel, die Petrus auf wunderbare Weise befreiten. Daher konnte Petrus seine Mission außerhalb Jerusalems fortsetzen.


 

Der Legende nach wurden die Ketten, die Petrus nach seiner Befreiung aus dem Kerker zurücklies, von Eudoxia, Ehefrau des weströmischen Kaisers Valentinian III. und Tochter des oströmischen Kaisers Theodosius II., von einer Jerusalem-Wallfahrt nach Rom gebracht. Sie sorgte auch dafür, dass aus diesem Anlass der Gedenktag Sancti Petri ad vincula eingeführt und auf den 1. August, bis dahin Festtag des früheren Kaisers Augustus, gelegt wurde. Und sie trug erheblich zum Bau der römischen Basilika San Pietro in Vincoli bei, die heute berühmt ist für das von Michelangelo angefertigte Grabdenkmal Papst Julius‘ II.

 

Wer dieses besondere Exemplar des Tridentinums wann gestaltet hat, also den Druck in die wahrscheinlich aus dem 14. Jh. stammende Musikhandschrift eingebunden hat, lässt sich heute nicht mehr ermitteln. Der bibliotheksgeschichtliche Überlieferungszusammenhang im Altbestand des Priesterseminars deutet auf die Hildesheimer Kapuziner. Weil jedoch – anders als bei vielen Bänden aus diesem Bestand – ein entsprechender Besitzvermerk fehlt, kann man vermuten, dass es sich um das Buch aus dem persönlichen Gebrauch eines einzelnen Ordensbruders handelte.


Bildnachweise: © Dombibliothek, © Wikipedia