Der erste Jesuit...
„Moskovia“ ist der erste Reisebericht eines Jesuiten über das frühneuzeitliche Russland. Antonio Possevino (1534-1611) war mehrfach im Norden und Osten Europas im Auftrag des Ordens oder des Papstes unterwegs und verfasste Berichte. In dem erstmals 1586 in Wilna publizierten “Moskau” beschreibt er Land und Leute mit ihren kulturhistorischen Eigenheiten. Possevino betrieb nicht einfach nur Ethnographie um ihrer selbst willen, vielmehr war sie Bestandteil seines eigentlichen Auftrages: den Orden im Osten Europas auszubreiten und darüber hinaus den Zaren für ein aktives Vorgehen gegen den Protestantismus und die Türken zu gewinnen.
...in Russland
Possevino wurde in Mantua geboren und studierte in Rom und Padua, bevor er als junger Erwachsener Jesuit wurde. Schnell machte er Karriere und fungierte u.a. als Sekretär des Kardinals Ercole Gonzaga sowie als Erzieher von dessen Neffen. Danach vertrat er erstmals im Ausland die Interessen des Ordens: in Piemont und Savoyen mit Predigten gegen die Waldenser und in Frankreich durch die Einrichtung neuer Kollegien. Nach einem Intermezzo in Rom als Sekretär des Ordensgenerals wurde Possevino in den Norden und Osten Europas gesandt. Dort sollte er auch konkret den Verlauf des Livländischen Krieges beeinflussen, den die Anrainermächte um die Vorherrschaft im Ostseeraum führten.
Die Mission des...
Über mehrere Jahre war Possevino missionarisch-politisch unterwegs und erreichte 1581 den Hof des Zaren. Iwan IV. hatte ihn als Vermittler zwischen der polnisch-litauischen Seite und Russland berufen, die sich im Livländischen Krieg gegenüberstanden. Tatsächlich gelang ihm 1582 die Vereinbarung eines Waffenstillstands. Zugleich setzte er seinen Missionsauftrag fort, um die russisch-orthodoxe Kirche für den römischen Primat zu gewinnen und führte konfessionelle Dispute mit Iwan IV. Zugleich kritisierte der Jesuit die s. E. starke Ausbreitung des Protestantismus in Russland, die durch den Zaren bekämpft werden sollte.
...Antonio Possevino
„Moskovia“ war ein fester Bestandteil dieser Mission. Possevinos Beschreibungen spiegeln daher die Argumente des Legaten, der von seiner Position überzeugen will. So hebt er etwa bei den Bräuchen vor allem auf die religiösen ab und glättet dabei die Unterschiede zwischen den Kirchen, insbesondere zwischen der römischen und der russischen Konfession. Das Werk fand eine weite Verbreitung – ebenso wie seine Bibliotheca selecta, eine kommentierte Bibliografie dessen, was man wissen sollte, verbunden mit einem Verzeichnis der Werke, die man meiden sollte.
Der erste Buchbesitzer:...
Possevinos “Moskau” gelangte über mehrere Vorbesitzer in die Dombibliothek. Im Jahr seines Erscheinens 1586 wurde es laut Besitzeintrag (Tandem terminus empto) von dem Juristen Eberhard von Weyhe (1553 - ca.1633) erworben. 1650 wurde es als Besitz des Hildesheimer Michaelisklosters gekennzeichnet. Wiederum 150 Jahre später, im Kontext der Säkularisation zu Beginn des 19. Jh., wurde es mit hunderten anderen Büchern in die Bibliothek des hiesigen Priesterseminars integriert, von dort aus schließlich in den 1970er Jahren in die Dombibliothek. Hier ein Exemplar aus der Privatbibliothek Weyhes vorzufinden, ist jedoch alles andere als selbstverständlich.
...Eberhard von Weyhe
Eberhard von Weyhe wurde in Hannover geboren, wo sein Vater Ratsherr und Bürgermeister war. Nach dem Studium des kanonischen Rechts in Wittenberg, Rostock und Marburg zog es ihn nach Italien, Frankreich und in die Schweiz. Bildung und Kontaktpflege waren auch bei Weyhe eng verbunden, so begleitete er u.a. Herzog Otto Heinrich von Braunschweig-Lüneburg. Auf diese Kavalierstour folgte 1580 als nächster Karriereschritt eine Professur an der Universität Wittenberg. Darüber entstanden Verbindungen zum kursächsischen Hof, wo Weyhe zeitweilig als Richter tätig war. In den folgenden Jahren wechselte der Jurist mehrfach zwischen dem Hof in Sachsen und der Universität Wittenberg.
Weyhes wechselvolle...
Auf diesen Lebensabschnitt weist offenbar ein zweiter Besitzeintrag Weyhes, mit dem die in diesem Buch ebenfalls eingebundenen Briefe Gregors XIII. ausgewiesen sind: Eberhart von weihe consiliarius sax ... . Weil Weihe jedoch in Wittenberg in Verdacht geriet, Calvinistische Positionen zu vertreten, die dem dort vertretenen lutherischen Protestantismus entgegenstanden, und weil darüber hinaus sein fürstlicher Mentor starb, suchte er ein neues Umfeld: 1594 zunächst am landgräflichen Hof in Kassel und 1605 in Bückeburg am Hof des Grafen von Schaumburg, wo er in den Rang des Kanzlers erhoben wurde.
...Karriere
Ein weiteres Jahrzehnt später dürften die alten Kontakte nach Wolfenbüttel zum Einsatz gekommen sein, denn 1617 wurde Weyhe Kanzler am Hof des Herzogs Friedrich Ulrich (1613-1634); zugleich erhielt er den Titel eines kaiserlichen Rats. Weyhe trat 1626 oder 1628 von allen Ämtern zurück, weil er die Politik seines Herrn gegenüber Dänemark nicht mehr vertreten wollte. Die letzten Jahre seines Lebens verbrachte er ausschließlich als Gelehrter auf seinem Gut Böhme bei Lüneburg.
Weyhe und...
Die Beziehungen zum Wolfenbütteler Hof blieben jedoch bestehen. Herzog August (1635-1666), einer der gebildetsten Fürsten seiner Zeit und Begründer der nach ihm benannten Bibliothek, ehrte Weyhe 1630 mit dem Titel eines „Rat von Hause aus“ – auch aus wissenschaftlicher Perspektive eine angemessene Ehrung, denn im Verlauf seines Lebens hatte der Hofbeamte zahlreiche Publikationen zu juristischen, theologischen und philosophischen Themen vorgelegt. Seit 1623 gehörte er der „Fruchtbringenden Gesellschaft“, der ersten bzw. größten deutschen Sprachakademie, an.
...die Welfen
Auch Weyhe besaß auf seinem heimischen Gut eine umfangreiche und wertvolle Bibliothek. Allerdings wurde sie 1633 Opfer eines Überfalls durch einen anderen Welfen, Herzog Georg von Braunschweig-Calenberg. Weihes Besitz geriet aufgrund seiner Lage in den Feldzug Herzog Georgs, der ein deutsch-schwedisches Heer in Niedersachsen und Westfalen befehligte und gegen die kaiserlichen Truppen kämpfte. Im Anschluss an den Überfall starb Weyhe. Der „Possevino“ stammt vermutlich aus diesem Raubgutbestand, der offenbar veräußert wurde und so durch die Abtei St. Michaelis im Jahr 1650 erworben werden konnte.
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