Der Blitzableiter und...
Dieses Buch war Teil eines technischen Fortschritts, der seit der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts die Welt eroberte und sie dadurch sicherer machte. Marsilio Landrianis “Abhandlung vom Nutzen der Blitzableiter” erschien erstmals 1784 auf Italienisch und erklärte, wie die relativ einfache Metallstange Gebäude vor den vielfach durch Gewitter hervorgerufenen Bränden schützte. Dieses Exemplar des Buches wurde allerdings nicht von einem technikaffinen Dombibliothekar angeschafft, sondern stammt aus dem Besitz eines Benediktiners, der zu den bedeutendsten Bücherettern der Geschichte Hildesheims zählt: Pater Seraphim Wächter.
...der Mönch
Doch zunächst zurück zu Marsilio Landriani (1751-1816). Geboren in Mailand, forschte er Zeit seines Lebens als Chemiker, Physiker und Meteorologe. Seine „Physikalischen Untersuchungen über die Gesundheit der Luft“ (1775) machten ihn bekannt und trugen ihm eine Professur für Experimentelle Physik an einem Mailänder Kolleg ein.
Die Forschungsinteressen ...
Das Kernstück der Untersuchung ist das sog. Eudiometer, ein Instrument, mit dessen Hilfe Luftvolumina bestimmt wurden. Landrianis Ansatz beruhte auf der Annahme, dass die chemischen Reaktionen unterschiedlicher Gase zu Veränderungen des Volumens führten, die wiederum Rückschlüsse auf die Qualität der Luft zuließen. Das Eudiometer hatte eigentlich Allessandro Volta (1745–1827) erfunden, um den Sauerstoffgehalt der Luft zu messen.
...Marsilio Landrianis
Mit seiner zweiten Publikation, den „Opuscoli fisico-chimici“ begründete der Mailänder Physiker 1781 die moderne Erforschung von Säuren. Seit den 1790er Jahren verlagerte er seinen Forschungsschwerpunkt erneut und beschäftigte sich vornehmlich mit der Chemie der Elektrizität. Darüber hinaus arbeitete er an konkreten Verbesserungen für einzelne physikalische sowie meteorologische Instrumente.
Die Erfindung des...
Landrianis „Blitzableiter“ erschien 1786 auf Deutsch. Das Gerät selbst war wenige Jahrzehnte zuvor von Benjamin Franklin (1706-1790), einem der Gründerväter der USA, erfunden worden. Er wollte zeigen, dass ein Gewitter Elektrizität enthält. Zu diesem Zweck hatte er eine Metallstange in der Nähe von Paris aufgestellt, die während eines Gewitters elektrische Ladung auf sich gezogen und entsprechend Funken gezeigt hatte. Die buchstäblich Blitz-ableitende und damit schützende Funktion dieser Stangen wurde Franklin und anderen Wissenschaftlern in Europa dann sehr schnell klar.
... Blitzableiters
Bei der Mehrheit blieb jedoch noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, wozu die „Abhandlung“ einen unmittelbaren Beitrag leisten sollte. Das Buch enthält auch ein Verzeichnis aller Blitzableiter auf privaten und öffentlichen Gebäuden in ganz Italien, u. a. Kirchen und Pulver- bzw. Waffenmagazine, die in der Vergangenheit häufig von Blitz und Donner getroffen wurden und so Katastrophen auslösten. Trotz des offensichtlichen Erfolgs hielten sich die Zweifel lange. So überwachte Landriani 1810 die Anbringung des ersten Blitzableiters am Wiener Stephansdom, doch die Hirschgeweihe, die dort zur Abwehr von Unglück aufgehängt worden waren, blieben noch Jahrzehnte an ihrem Platz.
Nicht Räuber, sondern Retter:...
Der “Blitzableiter” stammt aus der Privatbibliothek des Mönchs Seraphim Wächter (1751-1835), die zu seinem Nachlass gehörte und dort mit 953 Büchern, 179 Handschriften und Urkunden verzeichnet wird. Die Mehrheit der Objekte dürfte aus der Bibliothek seines Konvents, des Hildesheimer Michaelisklosters, stammen und war daher vermutlich Raubgut – allerdings im positiven Sinn. Denn Wächters mutmaßlicher Zugriff sollte die Bücher wahrscheinlich vor den Folgen der Säkularisation von 1803 bewahren: Die damit u.a. verbundene Aufhebung der Klöster und Stifte bedeutete nicht zuletzt die Enteignung von Besitz durch den preußischen Staat.
.. Seraphim Wächter
Weil die Umsetzung der Säkularisation Monate in Anspruch nahm, konnten sich die Betroffenen darauf einstellen. Daher brachten in vielen Klöstern die Mönche Wertgegenstände wie Bücher in ihren Besitz und suchten sie als Privateigentum vor dem staatlichen Zugriff zu schützen. In St. Michael schritt offenbar besonders Pater Seraphim zur Tat und versteckte Hunderte von Büchern.
Ein Blick in die „Privatbibliothek“...
Zu Wächters „Privatbibliothek“ gehörten auch das sog. Ratmann-Sakramentar und das Sakramentar Bischof Bernwards. Einträge des Hildesheimer Privatgelehrten Johann Michael Kratz (1807-1885), einer der besten Kenner der Bistums- und Regionalgeschichte, in die Handschriften selbst dokumentieren die komplizierten Besitzverhältnisse. Demnach übergab Pfarrer Ferdinand Becker aus dem benachbarten Himmelsthür, ein ehemaliger Mitbruder aus St. Michael, diese Schätze nach dem Tod Wächters an dem Hildesheimer Dom, und zwar auf Bitten des Domherrn Joseph Clemens von Vorst-Lombek-Gudenau.
...eines Benediktiners
Kratz bezeugt hier auch ausdrücklich das Eigentum Wächters sowie die Beteiligung des Domherrn von Gudenau, der vom Erblasser als Nachlassverwalter eingesetzt worden war. Diese und alle anderen Bücher bzw. Handschriften hatte Becker offenbar drei Monate nach Wächters Tod übernommen. Dieser gab sie seinerseits weiter, vielleicht ebenfalls auf Druck von Gudenaus. Der Großteil der Bücher Wächters gelangte so in die Bibliothek des Priesterseminars. Dort wurden sie jedenfalls als „Nachlass Wächters“ ausgezeichnet – und gelangten von hier aus in die Dombibliothek. Landrianis „Blitzableiter“ bildet so mit knapp 500 weiteren Bänden den stolzen Rest der Wächterschen „Privatbibliothek“.
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