Luthers Kirchenordnung am...
Unschwer ist dieses aufwändig gestaltete Buch als Repräsentationsobjekt erkennbar. Prachtbände wie dieser wurden denn auch weniger gelesen als verschenkt; sie dienten vor allem der Beziehungspflege. Tatsächlich wanderte auch diese lutherische Kirchenordnung des Wolfenbütteler Fürsten Julius, Herzog von Braunschweig und Lüneburg (1569), als Gabe von Hand zu Hand …
...Hildesheimer Domhof
… allerdings in keine, die man zunächst vermuten würde. Denn es handelt sich um ein Geschenk, das der Sekretär des Bischofs von Hildesheim, Liborius Bundtrock, dem Hildesheimer Jesuitenkolleg knapp 100 Jahre später zuteil werden ließ: Ex liberalitate Clarissimi Dmi D. Liborij Bundtrock Serenissimi Electoris Coloniensis Maximiliani Heinrici Archiepiscopi Coloniensis Episcopi Hildesiensis Secretarij possidet Collegium Hildesiense Ao. 1665 28 Junij o.p.e
Ein fürstliches...
Den vorderen Buchdeckel ziert ein zentrales, mit Gold überzogenes Portrait des Herzogs, das im oberen Randbereich vom zeitgenössischen Namen Wolfenbüttels, “HEINRICHSTADT”, überschrieben ist. Insofern handelt es sich nicht einfach um die auch damals bereits übliche Angabe des Druckortes. Vielmehr formuliert die signifikante Prägung die umfassenden Ansprüche des Welfen als protestantischer Landesherr. Auf der Rückseite des Titelblatts befindet sich ein ähnliches, aber ganzzeitiges und reich verziertes Bildnis mit dessen Wahlspruch Aliis inserviendo consumor („Im Dienst für andere verzehre ich mich“).
...Geschenk
Auf dem hinteren Buchdeckel glänzt daher das eingeprägte herzogliche Wappen unter seinem ebenfalls goldenen Überzug. Die Buchschnitte wurden mit einem farbigen Muster versehen. Allein aufgrund seines Äußeren muss der Herzog selbst als ursprünglicher Schenker vermutet werden, der mit diesem Band als Gabe bei passenden Gelegenheiten Beziehungen gepflegt und Rangansprüche gestellt haben dürfte. Doch in die Wiege gelegt war dem Welfen diese Position tatsächlich nicht.
Julius von Braunschweig-Wolfenbüttel...
Als vierter Sohn Heinrichs II. des Jüngeren 1529 geboren, war Julius eigentlich nicht für die Nachfolge bestimmt gewesen, sondern sollte, wie es üblich war, eine kirchliche Laufbahn einschlagen. Seine Ausbildung war entsprechend gründlich; es folgte ein Studium in Köln, Bourges und Löwen. Dies verband der Welfe mit der im Adel üblichen Grand Tour, die die jungen Erwachsenen zu den kulturhistorisch interessantesten wie unterhaltsamen Zielen in Europa führen konnte. Julius zog es nach Frankreich.
... (1568-1589)
In diesem Lebensabschnitt eignete sich Julius schrittweise lutherische Positionen an, die zwischen ihm und seinem Vater Spannungen hervorriefen. Heinrich II. war der letzte Landesfürst des niedersächsischen Raumes, der noch dem Katholizismus angehörte. Mit Mühen bewegte er Julius dazu, sich 1553 vom Mindener Domkapitel zum Bischof wählen zu lassen. Als in demselben Jahr Julius‘ ältere Brüder starben, wurde klar, dass er die Nachfolge des Vaters antreten würde und gab daher die Anwartschaft auf das Mindener Bistum auf. Die zeitgenössische Stammtafel zeigt Heinrich zwischen seinen zwei Ehefrauen; die Kinder waren aus der ersten Ehe mit Maria von Württemberg hervorgegangen.
Julius als Landesherr...
Als Fürst brach Julius fast schon erwartungsgemäß mit einigen Traditionen oder brachte Innovationen auf den Weg. So führte er den Merkantilismus ein, was bedeutete, dass er als Fürst überhaupt wirtschaftspolitische Ziele wie die Mehrung von Ressourcen durch die Nutzung von Bodenschätzen entwickelte; dafür ließ er die Erze im Harz vermehrt abbauen, um sie zu Kapital zu machen (s. o. den sog. Lichttaler von 1586) oder zur Herstellung von Waffen zu verwenden. Auch die Transportinfrastruktur wollte Julius verbessern und ließ daher Straßen und Wasserwege anlegen. Wissenschaften, insbesondere die Alchemie, wurden von Julius gefördert.
...und Reformator
Zur Unterscheidung zwischen fürstlichen und Landesangelegenheiten wurde die gesamte Verwaltung umstrukturiert. Beamte kamen nun in allen Bereichen zum Einsatz, an deren Spitze der Fürst stand (Große Kanzleiordnung 1575). Die 1668 gegründete Universität Helmstedt erhielt mit Alma Julia den Namen des Landesherrn und diente vor allem der Ausbildung von Beamten und Geistlichen. Bereits zwei Monate nach seiner Machtübernahme führte Julius die Reformation ein. Deren zentrale Instrumente waren Visitationskommissionen, das Konsistorium, der Kirchenrat als Zentralbehörde und die am 1. Januar 1569 erlassene Kirchenordnung. Deren erste Fassung liegt in der vorgestellten Prachtausgabe vor.
Kirchenordnungen... der Reformation
Kirchenordnungen regelten Alltagsleben und Verwaltung in den Territorien und Reichsstädten, die der Reformation angehörten. Meist wurden sie in Kooperation bzw. auf Initiative des Landesherrn entwickelt, um dessen Macht auszubauen. Ihr Gegenstandsbereich war so breit wie grundlegend: Er reichte vom Bekenntnis über die Amtspflichten von Geistlichen zu Gottesdienstordnungen, das Schulwesen bis zu kirchenrechtlichen Verfahren.
...der Reformation
Prägend waren die Kirchenordnungen Johannes Bugenhagens (1485-1558), die u.a. für Braunschweig 1528, Lübeck 1531 und Wolfenbüttel 1543 erlassen wurden. Mit ihnen beeinflusste er die Strukturen der protestantischen Kirchen Norddeutschlands und Skandinaviens. Spätestens nach dem Augsburger Religionsfrieden 1555 wurden für jedes Territorium Kirchenordnungen erlassen. Denn durch dieses grundlegende Gesetz war die konfessionelle Zugehörigkeit der Territorien festgelegt und die Reformation politisch anerkannt.
Julius’...
An die eigentliche Textausgabe schließt sich ein gedrucktes Bekenntnis des Herzogs zu dieser Ordnung an, das auf den 3. Mai 1675 datiert ist und von Julius wohl eigenhändig unterschrieben wurde. Die verbleibenden Seiten des Bandes, ca. ein Drittel des Gesamtvolumens, sind blanko, waren also persönlichen Eintragungen des Besitzers vorbehalten. Auf diese Weise konnte die Kirchenordnung zum individuellen Begleiter eines lutherischen Gläubigen gestaltet werden.
...Kirchenordnung
Darüber hinaus weist dieses Exemplar im Vorwort etliche Unterstreichungen, z. T. mit der gebräuchlichen handschriftlichen Hervorhebung “NB” (Notabene, dt.: beachtenswert) auf. Diese dürften allerdings eher dem 17. als dem 16. Jahrhundert zuzuordnen sein.
Doch kein fürstliches...
Ein Jahrhundert später schenkte Liborius Bundrock, Sekretär von Maximilian Heinrich von Köln, der nebenbei auch Bischof von Hildesheim war, das Buch dem Hildesheimer Jesuitenkolleg. Viel ist über ihn nicht bekannt. Wahrscheinlich vertrat er den meist nicht in Hildesheim residierenden und regierenden Bischof vor Ort. Als Kanzlei-Sekretär regelte er die grundlegenden Verwaltungsangelegenheiten und beurkundete vielfach. Bundrock und seine Frau stifteten mehrfach zugunsten des Jesuitenkollegs.
...Geschenk?!
Sein Herr, der Wittelsbacher Maximilian Heinrich, wurde als dritter Sohn, wie in adligen Familien üblich, bereits als Kind auf eine geistliche Karriere vorbereitet, entsprechend ausgebildet und mit Pfründen versorgt. Aufgrund ihrer reichsweiten Vernetzung hatten sich die Wittelsbacher den Zugriff auf verschiedene Bistümer gesichert, u.a. auf Köln. Dort wuchs Maximilian Heinrich bei seinem Onkel auf, wurde von Jesuiten erzogen und besuchte das von ihnen geführte Tricoronatum. Im Anschluss studierte er in Köln sowie Löwen. Eine Priesterweihe erhielt er jedoch erst 1651, dem Jahr seiner Bischofsweihe.
„Luther“ und ein „Bayer“...
Maximilian Heinrichs machtpolitische Ambitionen hielten sich jedoch offenbar zunächst in Grenzen, denn er lebte einige Zeit zurückgezogen in der Abtei St. Pantaleon, wo er Alchemie betrieb. Seit 1633 sammelte er, wie andere Familienmitglieder auch, hochrangige geistliche Würden: angefangen mit Hildesheim, wo er als Koadjutor gewählt wurde; 1642 Köln; 1649 Lüttich. Seine kirchenpolitische Position war konventionell, da er das Tridentinum trug und Wert auf die Verbesserung der Ausbildung des Klerus legte.
...am Hildesheimer Domhof
Wie das Buch in Bundrocks Besitz kam, wissen wir nicht. Der historische Kontext seiner Schenkung an das Jesuitenkolleg ist geprägt durch die Umsetzung des Westfälischen Friedens. Dieser forderte die Gleichberechtigung der Konfessionen, d.h. konkret vom Bischof die Einrichtung eines Geistlichen Konsistoriums für die Protestanten; dies erfüllte Maximilian Heinrich 1651 kurz nach seiner Erhebung. Im Lauf der Jahre wuchs dagegen besonders von Seiten der Hildesheimer Stifte und Klöster Widerstand, die sich 1668 sogar zu einer „Union“ zusammenschlossen.
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