Das Reichenauer Orationale

Die Pergamenthandschrift wurde in ersten Drittel des 11. Jahrhunderts in der bedeutendsten Malschule des Frühmittelalters, die im Benediktiner-Kloster auf der Reichenau angesiedelt war, gestaltet und im bayerischen Kloster Seeon geschrieben.

Es handelt sich um ein liturgisches Buch, das Lesungen aus der Bibel und Gebete enthält. Als Produkt des Bodenseeklosters zählt das Hildesheimer Orationale zu den wichtigen Repräsentanten der ottonischen Buchmalerei.

Der Codex ist u.a. mit vier doppelseitigen Miniaturen auf Goldgrund und sechs ganzseitigen Initialen ausgestattet. Diese befinden sich im Gebetsteil und sind den wichtigen Festen des Kirchenjahres zugeordnet.

 

 

 

Die Herkunft aus der Reichenauer Malschule lässt sich beispielsweise im ersten Doppelbild zum Weihnachtsfest erkennen, weil hier die Geburtsszene und die Verkündigung an die Hirten gegenübergestellt werden.

Die Provenienz der Handschrift lässt sich nicht im Detail rekonstruieren. Die insbesondere an den doppelseitigen Miniaturen erkennbare hochwertige Ausstattung sowie die persönliche Beziehung des damaligen Kaisers Heinrich II. (1002–1022) zu Hildesheim könnte auf diesen deuten: Heinrich wurde in der Hildesheimer Domschule ausgebildet und ist für ähnliche Stiftungen an andere Kirchen bekannt.

Eine ähnlich ausgestattete Reichenauer Handschrift, die sich heute in Wolfenbüttel befindet (Reichenauer Perikopenbuch, Cod. Guelf. 84.5 Aug. 2°), wird im Zusammenhang einer möglichen kaiserlichen Buch-Stiftung für Hildesheim als Argument genannt.   

Für das Fest der Himmelfahrt Mariens wird ebenfalls eine Doppelseite genutzt.

Während auf der linken Hälfte die Seele der Verstorbenen in der Gestalt eines Kindes gen Himmel gehoben wird, zeigt die rechte Abbildung die Aufnahme Marias in die himmlische Sphäre.

Dieser prominente Platz für die Gottesmutter wird als wichtiges Argument für die ursprüngliche Bestimmung der Handschrift für den Hildesheimer Dom bewertet, weil er unter dem Patronat Marias steht.